Alltag mit Blick von … „da, wo ich herkomme“

Stuttgart-Special: ‚Trudes Tier‘

„Trude wohnt zusammen mit einem großen, haarigen und bärenstarken Wesen, das jedoch nicht weiß, wo es eigentlich herkommt und wie man sich im Umgang mit Menschen benimmt. Also zeigt sie ihm ihre Welt und bringt ihm gutes Verhalten bei. Das Tier wiederum veranlasst seine menschliche Kumpanin dazu, so manche Regel ihres Alltags zu hinterfragen und eröffnet ihr damit neue Blickwinkel.“

Quelle: ARD Mediathek

Inhalt & Konzept

‚Das Tier‘ hat nach eigenen Aussagen vergessen, wo es herkommt. Auf dem Globus im Vorspann, den Trude dreht und dreht, kommt ihm jedenfalls nichts bekannt vor. So hat es sich erstmal bei Trude, einer ansonsten allein lebenden Kinderkrankenschwester, in ihrer Stadtwohnung einquartiert.

‚Trudes Tier‘ erzählt über den Alltag der beiden unterschiedlichen Individuen – eine Anlehnung an „Die Schöne und das Biest“ kommt wohl nicht von ungefähr. Ein Alltag, in dem die kindliche Sichtweise des großen und starken Tiers mit Trudes erwachsen-rationaler Haltung kontrastiert und kollidiert. Voller Naivität (im positivsten Sinne), Neugierde, Impulsivität und Kreativität lebt das liebevolle Tier seine Ideen ziemlich direkt aus. Es stellt Fragen über Fragen zu Gewohnheiten und Alltäglichkeiten, und schon bald stellen wir als Zuschauer:innen die Erwachsenenlogik selbst mit infrage. Warum muss „man“ das jetzt so machen, geht es nicht auch anders, vielleicht?

Erziehungs-Faktor

Das Miteinander der beiden ist wertschätzend und liebevoll. Beide bringen dem jeweils anderen Verständnis und Wohlwollen für dessen Eigenarten entgegen und sie mögen sich, denke ich, gerade deretwegen ganz besonders. Trude steigt oft ins Spiel mit ein, wenn das Tier die Konventionen mal wieder umdichtet. Allerdings verkörpert sie – aus dramaturgischen Gründen – natürlich das „Normale“, die allgemeinen Regeln, die Konventionen. In ihrer rationalen Art bringt sie das impulsive Tier immer zurück in alltagskonforme Bahnen. So muss es sich dann doch eben selbst beim Bauarbeiter entschuldigen, als es sich den Bagger zum Spielen „ausgeborgt“ hat.

Es wird mit erzählt, „was sich gehört“. Darauf basiert das Konzept. Das passiert aber ziemlich am Rande und ganz ohne Zeigefinger. Eher geht es um Gewohnheiten und das soziale Miteinander, und das schafft Trude durch Vorleben und erklären zu vermitteln. So schlimm, wie es im Teasertext der ARD-Mediathek klingt („bringt ihm gutes Verhalten bei“), ist es dann im Endeffekt doch nicht.

Wir erkennen als Eltern alltägliche Situationen und Herausforderungen mit unseren Kindern wieder. Und ‚Trudes Tier‘ zeigt sowohl einen kreativen Umgang mit typischen Situationen als auch den Perspektivwechsel ins kindliche Gehirn auf. In der Folge ‚Wutspucke‘ zum Beispiel hat das Tier den ganzen Tag Stinkelaune. Jedes Bisschen regt es nur noch mehr auf. Die Wut macht seine Spucke super-klebrig, so dass es Gegenstände – auch große und schwere – überall anheften kann. Natürlich findet Trude es nicht besonders gut, dass ihre Einrichtung nun an Wänden, Decken und Bäumen klebt. Doch sie findet Wege, das Tier nicht für seinen Unmut zu verurteilen, sondern es liebevoll aus der Wut hinaus zu begleiten. Sie sprechen über Gefühle, und das macht es so wertvoll.

Trude erklärt dem Tier liebevoll die Welt, Leben und Tod, soziales Leben, Emotionen und schaut auch hinter das „merkwürdige“ Verhalten. Gegen die Konventionen zu handeln, geht hauptsächlich vom Tier aus. Trude findet das sicherlich ebenso ungewöhnlich wie die ZuschauerInnen, aber weil sie das Tier liebt, unterstützt sie es in seinen noch so abstrusen Vorstellungen (solange nicht die Grenzen der anderen beeinträchtigt werden – wie im Beispiel des Baggers). Dass Trude immer mal wieder in „das geht doch nicht“ und „man kann doch nicht“ verfällt, verzeihe ich ihr gern. Schließlich ist sie unverhofft zu ihrem sich kindlich verhaltenden Mitbewohner gekommen, wie die Jungfrau zum Kinde Frau aus dem Single-Haushalt zum Tier. Sie übernimmt die Mutter-Rolle, ohne zu sehr „Mutter“ zu sein. Vielmehr eine Freundin. Trude hat sich nicht bewusst mit Elternschaft auseinandergesetzt, sondern handelt aus dem Bauch heraus. Das macht sie authentisch und authentisch heißt auch, im bedürfnisorientierten Sinn Fehler zu machen. Und das Tier ist eben auch kein Kind, sondern ihm trauen wir (und Trude) automatisch mehr zu, da es groß und stark ist und sich auch sonst eigenverantwortlich in der Welt bewegt. So redet Trude eben auf Augenhöhe mit dem Tier.

Umsetzung

Look

Grafik und Animation sind als Kombination aus digitalen handgezeichneten Illustrationen und 3D-Animation umgesetzt. Anfangs fand ich die 3D-animierten Bewegungen zu clean, mittlerweile habe ich mich aber daran gewöhnt. Für dieses Format ganz angemessen.

Musik

Die Musik des Intros ist fröhlich, leicht, natürlich und catchy. Sehr angenehm, wie ich finde.

Figuren

Das Tier ist ein großes Zottelmonster. Klassisch, irgendwie, aber auch nicht besonders formspezifisch. Kopf und Körper sind quasi eins. In seiner Abstraktion hat es durch Mund, lange Arme, vierfingrige Hände, stechend blaue Kulleraugen, Augenbrauen und Körpersprache genügend Spielraum, um Emotionen auszudrücken und sympathisch zu wirken. Seine Imperfektion (schiefe ungleiche Zähne, Zahnlücke) verleiht ihm Authentizität.

Trude, und das finde ich bemerkenswert, ist eine junge Frau mit einer ganz normalen Figur und Proportionen, die weder Wespen noch operierten Popstars nachempfunden sind. Erwachsen und ein bisschen kindlich (mit der Haarspangen-Frisur, zum Beispiel). Klar, minimal Comic-mäßig überzeichnet, aber angelehnt an die Realität. Sie ähnelt ein kleines bisschen einer lieben Freundin, die ich an dieser Stelle herzlich grüßen möchte.

Sprache

Luftküsschen an Bernhard Hoëcker. Mal abgesehen davon, dass ich ihn sehr sympathisch und lustig finde, passt seine Stimme und seine Sprachmelodie wunderbar zum immer etwas aufgeregten und neugierigen Tier. Danke an die Serienmacher, dass sie keinen offensichtlich brummbärigen (meist bärtigen und körperlich imposanten) Sprecher besetzt haben.

Trudes Sprecherin, Ruth Macke, bringt einen authentischen Tonfall in die Serie. Trude spricht, wie Menschen sprechen. Die Dialoge wirken echt und völlig unaufdringlich. Erholsam zwischen all den überdrehten und gepitchten Comic-Voices anderer Produktionen. 

Geschlechter-Rollen

Trude hat einen festen Freund (Thorsten), der in einigen Episoden auftritt. Sie ist berufstätig und lebt allein. Ihr Image ist erwachsen mädchenhaft (Haarspangen, Rock über der Leggins, Ringelshirt). Sie wirkt klug und großherzig.

Das Tier wird – besonders durch die Stimme – als männlich gelesen. Es spielt gern Cowboy (immerhin, nicht „Indianer“) und leiht sich einen Bagger aus, also eher „Jungs-typisches“ Spielzeug. Dass es die Rollenvorstellungen aber auch brechen kann, zeigt es in meiner Lieblingsepisode.

Lieblingsepisode

‚Das Schöne und die Biest‘

Das Tier bewirbt sich um eine Rolle beim Theater für das Stück ‚Die Schöne und das Biest‘. Es wäre natürlich nicht das Tier, wenn es sich für die konventionelle Rollenverteilung begeistern würde.

Warum?

Weil ich das Thema der Gendersensibilität und den Aufbruch klassischer Rollenbilder, weg von Äußerlichkeiten und Stigmatisierung, gesellschaftlich relevant finde. Und weil Trude dem Tier eine liebevolle und kreative Stütze ist, wenn es für seinen Traum an den Normen scheitert. Und wegen der süßen Details in der Nebenhandlung.

Fazit

‚Trudes Tier‘ ist eine Serie voller Humor und Liebe, die Natürlichkeit und Authentizität in die Welt des Zeichentricks bringt. Sie behandelt auch schwierigere Themen, zum Beispiel den Tod, auf kindgerechte Weise. Dass unkonventionelles lösungsorientiertes Denken zu einem liebevollen Miteinander gehören, ebenso wie das Hinterfragen von absurd erscheinenden Verhaltensweisen (auch den eigenen), lese ich aus dieser Serie heraus. Die Geschichten erzählen einen wiedererkennbaren Alltag. Doch sie erzählen nicht platt nach, was Kinder und Eltern ohnehin täglich erleben (gähn), sondern sie begeben sich auf eine emotionale Ebene, die Kindern und auch den erwachsenen Zuschauer:innen etwas Wertvolles mitgibt. Vor allem aber: ‚Trudes Tier‘ macht Spaß.

Credits

Jahr

2014

Produktion

Studio Soi (u.a. auch ‚Der Grüffelo‘), Ludwigsburg 
im Auftrag des WDR

Sprecher:in

Bernhard Hoëcker (Tier) und Ruth Macke (Trude)

Drehbuch

Marcus Sauermann

Länge der Episoden

ca. 6 Minuten

Altersempfehlung

FSK 0, empfohlen ab 5 Jahren (siehe zum Beispiel bei Kinderfilmwelt)

Ich denke auch, dass die Kleinsten nichts zu befürchten haben und sich durchaus an den Bildern erfreuen, aber den zwar kindgerechten, aber doch recht umfangreichen Dialogen erst mit vier oder fünf Jahren gut folgen können. Mit sechs- bis siebenminütigen Episoden sind die Geschichten gut verständlich, lassen sich angemessen portionieren und Binge-Watching, weil es soooo schön ist, schlägt somit auch nicht gleich zu arg ins Gewicht 😉

Wo zu sehen?

Aktuell (04/2019) 

  • auf DVD oder bei den einschlägigen Streaming-Diensten (9 Folgen)
  • in der ARD-Mediathek und bei der Maus (20 Folgen)

Mit anderen Augen & Worten

Ein Text von Rochus Wolff auf filmstarts.de

Kinderfilmwelt

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