Was wäre, wenn? – Der Film CaRabA

Fragen zum Film

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Fiktion oder Dokumentation?

Die Wahl fiel im Laufe der Stoffentwicklung auf die fiktionale Erzählform, erzählt mir Produzent Joshua Conens. Anfangs sei das Projekt dokumentarisch mit inszenierten Elementen gedacht gewesen, im Laufe der inhaltlichen Beschäftigung sei das Team dann aber über den Spielfilm an das notwendige Visionieren gekommen. Sie wollten die gesellschaftliche Perspektive aufzeigen, eine Realität, die es noch nicht gibt. Aktuell kann man real nur Einzelfälle beobachten.

CaRabA verwendet Elemente einer Mockumentary. Sehr geschickt, wie ich finde. Das Publikum wird so direkt von Anfang an in die Was-wäre-wenn-Stimmung hineingezogen. Die Utopie (zumindest empfinde ich sie als solche) bleibt durch den fiktionalen Charakter angenehm offen und als Möglichkeit erzählt, die gedanklich weitergesponnen werden kann. Während das dokumentarische Format meines Erachtens eine eingeschränkte und zu gefestigte Allgemeingültigkeit mitgebracht hätte.

Schulpflicht – Bildungspflicht – Lernpflicht?

Deutschland ist streng genommen[1]Schweden bietet gesetzlich die Möglichkeit des Heimunterrichts, der jedoch wegen zu strenger Auflagen praktisch nicht möglich ist. das einzige europäische Land mit einer Schulpflicht, die als Schulzwang, also die Bindung an ein Schulgebäude, ausgeführt wird. Familien anderer Länder steht es mehr oder weniger frei, ihre Kinder auch in privaten Bildungseinrichtungen oder zu Hause zu unterrichten bzw. unterrichten zu lassen.

Eine Übersicht aus dem Jahr 2008 gibt es hier im unerzogen Magazin.

Saskia und ein Kind lernen im Matratzenladen
Filmstill aus CaRabA – #LebenOhneSchule

CaRabA geht gedanklich jedoch weit darüber hinaus. Auch über alternative Schulformen, Fernschulen, freie oder reformierte staatliche Schulen. Wie oben erwähnt, geht es Bertrand Stern um das Ausbrechen aus dem System (egal, welchem). So weit ich es verstanden habe, gibt es in der Utopie von CaRabA noch Schulen. Diese werden jedoch nicht gezeigt, weil sie in jener Welt einfach nicht mehr relevant sind.

Joshua erläutert mir den Unterschied zu den hiesigen freien Schulen: Er sieht dort eine gewisse Beliebigkeit. „Wo sind die Vorbilder?“, fragt er. Menschen lernen durch Nachahmung. „Wo sind diese Anknüpfungspunkte?“ Er sieht eher einen Bauernhof oder ähnliches als geeigneteren Lernort, in einer gleichberechtigten Gemeinschaft, schließlich seien auch freie Schulen letztlich an ein Gebäude (und Lehrende) gebunden. Sich gänzlich frei zu machen von einzelnen Personen, von Eltern oder Lehrpersonen als einzige Quelle von Wissen und Fertigkeiten, von einzelnen Orten, Gebäuden, ist ein Kerngedanke von CaRabA.

Kinder und Erwachsene

Mir fällt auf, dass Joshua konsequent ‚junge Menschen‘ statt ‚Kinder‘ sagt. Wie wertschätzend das klingt. Ich hatte es vor Längerem auch versucht, in meine Alltagssprache zu integrieren. Gar nicht so einfach.

Alle Erwachsenen seien bewusst etwas „schräg“ dargestellt. Ich sehe, dass dies den Fokus auf die jungen Menschen, mit Betonung auf Menschen, legt. Es gibt die unterschiedlichsten Familienkonstellationen, viele verschiedene Themen und Herausforderungen. Es werden bewusst auch nicht präsente Eltern erzählt, die also einen „Bildungsauftrag“ nicht erfüllen könnten. Die Gesellschaft in CaRabA ist in ihrer Mischung angenehm heterogen.

Wie realistisch ist die Utopie?

„Eigentlich gar nicht so visionär“, erklärt Joshua. Vieles finde im Kleinen heute schon statt. CaRabA soll helfen, den Fokus zu verschieben, einen Perspektivwechsel erleichtern. Das Publikum soll sehen: Es ist gar nicht so viel nötig.

CaRabA ist bewusst sehr nahe an das Jetzt und Hier angelehnt. Es ist eine Gesellschaft, die wir relativ unproblematisch morgen schon leben könnten. Ich denke an digitale Bildungsangebote, Kinder-Uni, Kinderkonzerte, Mitmach-Aktionen, „Türen auf für die Maus“, Praktika, Volkshochschulen (im positivsten Sinne), AGs, Clubs, … Es scheint grundlegend schon viel Potential zu geben. Dass es eigenverantwortlicher, unabhängiger wird und selbstverständlich, sich Bildung auch „von der Straße“ zu holen und dass zentrale Einrichtungen Bildungsoptionen individuell zuordnen, bräuchte hier und da noch die ein oder andere Entscheidung und vor allem ein bestimmtes Bewusstsein. Dafür ist der Film da.

Joshua betreibt sich selbst als „konsequenten Autodidakten“. All das im Film Gezeigte sei so naheliegend und eigentlich ganz einfach. „Wieso sollte man es anders machen?“

CaRabA möchte keine Antworten liefern, wie es „besser“ wäre. Aus einer ethischen Haltung heraus („positives Weltbild“ im Gegensatz zu „negativem Weltbild“) gelte es, die nötigen Konsequenzen zu ziehen, als Gesellschaft Lösungen zu finden. Joshua glaubt daran, dass wir Lösungen finden, sei es auf politischer Ebene (z.B. die Schulpflicht abzuschaffen) oder finanziell.

Die Kehrseite der Utopie?

CaRabA erzählt keine Heile-Welt-Geschichte. Immer mal wieder wird es unangenehm, wenn die eigenverantwortliche Forschung, z.B. an einem Medikament, gefährlich zu werden scheint. Dennoch ist die Grundaussage eine Positive, wenngleich Joshua berichtet, dass manche Zuschauer:innen die Welt von CaRabA als Dystopie wahrnehmen.

Ich frage mich: Wie würde sich die Utopie weiterspinnen, wenn man z.B. radikale Gesinnungen mit bedenkt? Also, wenn die Schulpflicht Kinder aus radikalen Elternhäusern nicht mehr zwangsläufig mit demokratischen Werten in Kontakt bringen würde. Wenn sich ein Teil der Jugendlichen ausschließlich mit z.B. (rechts-)radikalen Mentoren „bilden“ würden – die z.B. reale wissenschaftliche oder historische Ereignisse leugnen statt sie zu lehren. Gerade in einer Übergangszeit eine Gefahr, die ich sähe.

Aus mir sprechen natürlich die Ängste, das gewohnte System zu verlassen. Eines zu betreten, das trotz „es braucht gar nicht viel“ so neu und unvorstellbar ist, dass sich das Was-wäre-wenn in meinem Kopf zu Katastrophen-Szenarien spinnt. Ängste, durch die im gewohnten gesellschaftlichen Umfeld solch visionäre Gedanken schnell abgeschmettert werden. ANARCHIE!!1!11!!!

Bertrand Stern antwortet darauf, dass das Leben eben Gefahren bietet. Das Leben, eben. „Die Würde des Menschen, jedes einzelnen, ist unantastbar“, betont er. Joshua Conens fragt, ob es Demokratie fördernd sei, die Menschen vor ihren Versuchungen zu schützen. Letztlich resultierten diese daraus, sich nicht wahrgenommen zu fühlen. Aus dem Gefühl von „Ich habe nichts zu sagen“. Er habe die Hoffnung, dass die Gefahr, die von solcher Art „Parallelgesellschaften“ ausgehe, sich durch eine Abschaffung der Schulpflicht, im Gegenteil, auflöse: Es gebe mehr Durchmischung, mindestens generationelle, idealerweise kulturelle. Letztlich hätten diese Gefahren aber nicht generell etwas mit der Schulpflicht zu tun. Schließlich existieren diese Bewegungen auch jetzt – trotz Schulzwangs.

Ich frage weiter: Wie bleibt die Qualität von Wissen und Bildung gesichert? Wie würde eine Abgrenzung zu Halbwahrheiten, Fake News und gefährlichen Behauptungen, die nicht wissenschaftlich gesichert sind, stattfinden? Aber, aber, das Internet.

Wie wird Bildung gefiltert, fragt Joshua zurück. Passiert das in der Schule, durch die Lehrer:innen? Generell müssten Angebote geschaffen werden, um eine Auseinandersetzung mit „den Medien“ zu fördern. Medienpädagogische Initiativen, aber eben – außerschulisch.

Auf der nächsten Seite gib es die Credits zum Film CaRabA.

References

References
1 Schweden bietet gesetzlich die Möglichkeit des Heimunterrichts, der jedoch wegen zu strenger Auflagen praktisch nicht möglich ist.

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