Ich sehe was, was du nicht siehst | Teil 1 – #Elternschule

I. Form & Struktur

Contents

Genre

Beim Film Elternschule handelt es sich um einen Dokumentarfilm, also um einen Film, der – im Gegensatz zu einer fiktionalen Produktion – reale Begebenheiten erzählerisch dokumentiert. Es besteht ein Anspruch auf Authentizität. Im Gegensatz zur Dokumentation oder Reportage ist hier jedoch keine neutrale Gegenüberstellung verschiedener Ansätze notwendig bzw. erwünscht. Der Film verfolgt keinen sachlich-deskriptiven Ansatz. Die Filmemacher beziehen Position, erzählen aus einer bestimmten (gewählten) Perspektive heraus. Sie betonen (siehe FAQ der Film-Website), eine beobachtende Position eingenommen zu haben. Eine „Mäuschendoku[1] https://www.filmjournalisten.de/2018/10/11/elternschule/?fbclid=IwAR12dlinfmQ1ROrJ5VEELAevCo8durrRjEWG0FtnZOMeVEkXNqvaV6GAGMM“, welche die Kamera direkt auf das Geschehen hält. Was das Filmen des Footage angeht, gehe ich davon aus, dass sie tatsächlich im großen Ganzen in ihrer Anwesenheit als Filmteam so wenig wie möglich in das Geschehen vor Ort interveniert haben, auch wenn es beim Dokumentarfilm nicht unüblich ist, in die Wirklichkeit einzugreifen. Das Endprodukt als Komposition von Sequenzen, Bildstilistiken, Ton etc. erzählt als Film jedoch nicht wertfrei. Im Gegenteil: der Film erzählt bewusst eine Geschichte und interpretiert die Realität auf seine Art. Dieses Vorgehen möchte ich im Folgenden näher erläutern.

Hier[2]https://villa-kalimba.de/2018/10/20/dokumentarfilm-ethik/ beschreibe ich, warum nichts, was im Film landet, Zufall ist und welche Verantwortung die Filmemacher tragen. Es wird sehr bewusst entschieden, was (von den in diesem Fall bis zu 200 Stunden Rohmaterial) wie und warum an welcher Stelle auftaucht oder weggelassen wird.

Plot

Eltern mit Kindern, denen eine sogenannte Regulationsstörung attestiert wurde, durchlaufen in der Kinderklinik Gelsenkirchen Buer eine dreiwöchige Verhaltenstherapie, die auf „Ess-Training“, „Schlaf-Training“ und „Trennungstraining“ als Methoden zurückgreift. Kinder, die nicht essen, sich aggressiv verhalten, nicht allein ein- oder durchschlafen sowie oft und lange schreien, werden in diesem Programm behandelt, ihre Eltern für einen sogenannten „liebevoll-konsequenten“ Umgang mit ihren Kindern trainiert. Die Eltern sind verzweifelt, weil ein normaler Alltag für sie als Familie aktuell und teils seit Jahren nicht möglich ist. Der Diplom-Psychologe Dietmar Langer führt als leitender Therapeut im Laufe des Films anhand verschiedener Fallbeispiele vor, auf welchen Annahmen das „System Kind“ fußt, wie seine Methode zum Erfolg führt und Familien wieder einen normalen Alltag bescheren kann.

Setting

Die Handlung findet fast ausschließlich in den Räumen der Station Pädiatrische Psychosomatik der Klinik in Gelsenkirchen statt (im Folgenden verkürzt ‚Klinik‘ oder ‚Institut‘ bezeichnet). Einige Einstellungen zeigen das Außengelände (Spazierweg am See), wohl in der Nähe der Klinik. In der Schlussszene befinden sich die Protagonisten in einem Heckenlabyrinth an einem nicht näher definierten Ort.

Who is Who – Personen & Charaktere

Im Film werden reale Personen dargestellt: Das Klinik-Team sowie die Patienten, also die Eltern mit ihren Kindern. Diese Personen verkörpern bestimmte Charaktere und werden in einem professionellen Film auch bewusst als solche eingesetzt. Grundlegend steht das besonnen dargestellte Klinik-Personal (Ordnung) den emotional aufgewühlten Eltern und Kindern (Chaos) gegenüber.

Dipl. Psych. Dietmar Langer 

Der „Allwissende“. Er verkörpert das Programm und die Methodik, die dahinter steht. Er ist derjenige, der im Laufe des Films die Informationen an Eltern und Publikum weitergibt, die das therapeutische Vorgehen erklären und rechtfertigen. Seine theoretischen Erklärungen durchziehen den gesamten Film und halten die unterschiedlichen „Geschichten“ (Fälle) quasi zusammen. Außerdem tritt er als Berater im 1:1 Gespräch mit den Eltern in Erscheinung und führt bestimmte Therapien selbst durch. Langer trägt hochwertige Fleece-Pullis und Jeans während seines Unterrichts, verkörpert den sportlich-legeren Chic. Keine Klinik-Kleidung, keine Uniform. Dreitagebart. Glatze. Markante Brille, gemeinhin Symbol für „Durchblick“, also Wissen, Kompetenz. Er strahlt Charisma und Professionalität aus. Seine Sprache ist klar, direkt, locker und flapsig. Er gibt sich „kumpelhaft“, den Kindern gegenüber wie ein „großer Freund“, situativ handelt er als Stellvertreter der Vater-Figur (wie ein Vater sich „ideal“ verhalten würde/sollte). Er ist höchst rational.

Aus seiner (fachlichen) Perspektive heraus wird der gesamte Film erzählt.

Dr. Karl-André Lion

Leitender (Kinder-)Arzt des Programms. Er ähnelt Langer mit Brille, Bart und schütterem Haar, trägt in seiner Kompetenz als Arzt jedoch einen klassischen Kittel. Auch seine Sprache wirkt flapsig und locker. Er wirkt sanft, aber bestimmt. Er tritt im Film immer dann auf, wenn es um Anamnesen, Untersuchungs-Prozeduren oder die Einschätzung des körperlichen Zustands der Kinder geht.

Dipl. Sozialarbeiterin Grühn

Sie strahlt Erfahrung aus und Entschlossenheit. Ihre Gesichtszüge sind markant. Sie tritt als rechte Hand Langers auf, erklärt den Eltern das Prozedere, leitet Teamsitzungen und führt selbst Teile der Therapie durch.

Klinikpersonal

Das weitere Klinikpersonal fasse ich unter dem Begriff Pfleger:innen zusammen. Die genaue Berufsbezeichnung wird im Film nicht genannt und die individuellen Persönlichkeiten sind für die Geschichte nicht relevant und auch nicht benannt. Es handelt sich fast ausschließlich um Pflegerinnen. Eine männliche Pflegeperson ist mir im Film aufgefallen. 

Auffallend ist der reglose und emotionslose Gesichtsausdruck des Pflegepersonals bei den „Behandlungen“. Sie gehen pflichtbewusst und regelkonform nach den geltenden Vorgaben vor. Alle wirken routiniert, man könnte meinen abgestumpft. 

Das Personal wirkt im Film als Kollektiv. Durch regelmäßige Berichte und Absprachen weiß jeder über jeden Bescheid. Man hat das Gefühl ihnen entgeht nichts, sie haben ihre Augen überall. Der Einsatz von Überwachungskameras verstärkt diesen Eindruck. Das Geschehen wird stetig protokolliert und wichtige Ereignisse der Leitung weitergegeben. Das gesamte Personal handelt als Langers verlängerter Arm.

Eltern

Die Eltern, die sich in ihrer Verzweiflung an die Klinik wenden, werden in höchst emotionalem Zustand gezeigt. Sie sind ratlos, verzweifelt, hilflos, traurig, ängstlich, wütend. Dies steht in klarem Kontrast zum rationalen Langer und seinem Team. Ihre Vorgeschichten werden im Rahmen der Anamnesen erzählt. Es wird deutlich: diese Menschen brauchen dringend Hilfe. Auf die einzelnen Persönlichkeiten gehe ich später ein. Der stationäre Aufenthalt wird meist durch die Mütter begleitet. Die Väter treten sporadisch in Erscheinung.

Kinder

Die eigentlichen Patienten, also diejenigen, deren Therapie im Film deutlich verfolgt wird. Ihr Verhalten begründet die Teilnahme der Eltern an der Therapie und, laut Langer, die Methodik an sich. Auch sie haben Teil an den verschiedensten Vorgeschichten, die ihre Eltern zur Anamnese preisgeben – meist einen passiven Teil, also ein zwangsläufiges Miterleben bestimmter Situationen oder Voraussetzungen. Auf die Darstellung der Kinder im Film werde ich im Folgenden noch genauer eingehen.

Aufbau & Erzählstränge

Grundlegend erzählt der Film eine Erfolgsgeschichte, die anhand verschiedener Fallbeispiele (Familien) die mit der Therapie verknüpfte Methodik und deren theoretische Annahmen über Kinder allgemein erläutert. Er stellt die Familien und ihre Problematiken vor, ebenso das grundsätzliche Vorgehen der Klinik. Die Familien werden in unterschiedlichen Erzählsträngen begleitet, der harte Weg, Schwierigkeiten und Konflikte aufgeführt. Am Ende zeigt sich anhand einiger der begleiteten Familien, dass die Therapie erfolgreich war bzw. bestimmte Erfolge erzielt hat.

Generell folgt die Erzählung einer Art chronologischer Abfolge. Die Therapie baut zeitlich aufeinander auf und der Film dokumentiert die Fortschritte im Laufe der Zeit. Die unterschiedlichen Erzählstränge werden parallel erzählt, wenn inhaltlich der Fokus auf einem bestimmten Thema liegt. Eine absolute Chronologie ist nicht gewährleistet.

Exposition

Einleitung

Die Vorstellung der Grundannahmen über mangelnde Selbstregulation und notwendige Grenzen bei Kindern führen das Publikum direkt in die Problematik. Ein grundlegendes Problem wird aufgeführt und als solches begründend eingesetzt.

Anamnesen

Einzelne Eltern erzählen ihre Back Story im Anamnese-Gespräch. Noch geht es erstmal ums Prinzip, die einzelnen Eltern und Kinder sind anfangs schwer zuzuordnen. Das Leiden der Eltern und Familien wird deutlich. Für einige scheint es der letzte Ausweg zu sein. Körperliche Untersuchungen am Kind geben in ihrer Art der Durchführung ersten Einblick in die Methodik.

Methodik

Die einzelnen Bestandteile der Therapie und die Methodik werden den Eltern (und dem Publikum) erläutert.

Hauptteil

Therapie

Die Therapie der einzelnen Familien wird abschnittsweise verfolgt. Mehrere Geschichten werden parallel erzählt. Neue Familien werden im Laufe des Films eingeführt, andere, die bereits anfangs vorgestellt wurden, schließen in der Mitte des Films ab. Die Geschichten mancher zu Anfang eingeführten Familien werden nicht zu Ende erzählt. Sie dienen somit mehr der Vorstellung des Prinzips bzw. Demonstration weiterer Verhaltensmuster.

Theorie

Parallel findet eine Erläuterung der theoretischen Grundlagen statt, auf denen die Methodik basiert. Sie erklärt das parallel zu verfolgende Verhalten der Kinder und ihrer Familien. Ebenso rechtfertigt sie die einzeln dargestellten Behandlungsweisen.

Konflikte

Die Therapie wird als ein schwieriger Prozess dargestellt. Kinder, die gegen Eltern und Therapeuten/Personal und deren Intentionen und Handlungen agieren, mit allen „Waffen“ kämpfen sowie Eltern, die nicht systemkonform handeln, bringen Konflikte in die routinierten Abläufe. Rückschritte im Therapieverlauf werden gezeigt. Konflikte erzeugen Spannung. Das Publikum soll mitfiebern, ob ein Erfolg erreicht wird.

Die Methodik, Begleitung der Familien, die Theorie sowie die Konflikte sind im Hauptteil ineinander verwoben erzählt.

Schluss

Erfolge & Ergebnisse

Am Ende des schwierigen Weges steht der Erfolg. Die (meisten) Familien, die das Programm trotz Zweifeln und scheinbarer Aussichtslosigkeit durchgezogen haben, erleben am Ende eine Erleichterung ihres Ausgangsproblems.

Erste Erfolge sind während der Therapie (Ende des Hauptteils) sichtbar, die weitere Entwicklung wird nach drei Monaten bei einem Kontrolltermin gezeigt und verbalisiert. Nicht alle vorgestellten Familien werden bis zum Ende portraitiert (wohl u.a. weil laut eigenen Aussagen – siehe FAQ der Film-Website – manche Eltern nach einer bestimmten Zeit nicht weiter filmisch begleitet werden wollten).

Die größten verzeichneten Erfolge stehen am tatsächlichen Ende des Films. Bei einem in der Mitte gezeigten Kontrollgespräch (hier gibt es noch keine Angabe zum zeitlichen Abstand zur Therapie) sind noch gravierende Probleme vorhanden. Bei einer weiteren Teilgeschichte mit offenbar positivem Ausgang, die in der Mitte abgeschlossen wird und bei der die Anamnese fehlt, wird zwar eine Abschluss- aber keine Nachbesprechung erzählt. 

Auch bei den Erfolgs-Storys wird im Detail deutlich, dass ein entscheidender Anfang erreicht wurde, aber noch Entwicklungsbedarf besteht.

Ende

Die Verabschiedung einer Familie von Herrn Langer leitet den Film aus. Diese und eine weitere Familie gehen symbolisch durch ein Labyrinth (mehr zu diesem Bild an späterer Stelle).

Spannungsbogen & Wendepunkte

Von der Problemdarlegung (Anamnese) über deren Bearbeitung (Therapie) bis hin zur „Erlösung“, also der Darstellung von Erfolgen, spannt sich der Bogen über den gesamten Film. Konflikte und Retardierungen werden eingesetzt, um die Spannung zu steigern bzw. aufrecht zu erhalten. Die einzelnen Erzählstränge und Sequenzen wiederum schlagen eigene Spannungsbögen. Diese Geschichten innerhalb der Geschichte besitzen eigene Einleitungen, Konflikte, Wende- und Höhepunkte, retardierende Momente und Auflösungen.

Struktur

Die grobe Struktur des Films würde ich wie folgt aufteilen:

I Exposition

  • Einleitung (Theorie)
  • Anamnesen
  • Theorie: Kind als Egoist und Stratege
  • Erklärung des weiteren Vorgehens
  • Anna (erstes Fallbeispiel)

II Hauptteil

  • Mohammed
  • Thema Trennung („Mäuseburg“)
  • Joggen (Mädchen X)
  • Felix
  • Zarah
  • Thema Schlafen
  • Thema Essen (u.a. Felix wird sondiert)
  • emotionale Distanz (Lehrvideo)
  • Konflikt mit Felix’ Eltern
  • Kontrolle Anna (& Emma)
  • überfürsorgliche Eltern

III Schluss

  • Zarah isst zum ersten Mal
  • andere Kinder essen zum ersten Mal

Epilog

  • Kontrolltermin nach 3 Monaten (Mohammed und Zarah)
  • Abschied und Ende

Höhe- & Wendepunkte

Ich möchte mich nicht zu tief in einer detaillierten Strukturanalyse verlieren. Die Dreiteilung, also die Drei-Akt-Sruktur aus dem fiktionalen Drehbuch, kann bedingt auf diesen Dokumentarfilm rückschließend angewandt werden. Die Erzählweise ist meines Erachtens grob daran orientiert.

Ein deutlicher erzählerischer Höhepunkt (bzw. inhaltlicher Tiefpunkt) liegt meiner Meinung nach bei der Sondierung des kleinen Felix. Als Rückschritt in der Therapie verstehe ich diese Szene auch als Retardierung. Ähnlichen Charakters ist die Sequenz, in der von Felix’ Vater und dessen Wutausbruch erzählt wird. Sie steht stellvertretend für den Scheideweg zwischen Erfolg und Scheitern des Systems. Felix’ Geschichte in seiner Brisanz um Leben und Tod halte ich für die stärkste bzw. Kern-Geschichte des Films. An ihr lassen sich viele Erzählebenen abarbeiten.

Den finalen Wendepunkt zum Guten leitet Zarah ein, die zum ersten Mal in ein Brötchen beißt.

Im Hauptteil finden sich verschiedene kleinere Wendepunkte, die meist dadurch gekennzeichnet sind, dass sich Kinder entgegen ihrem vorigen Verhalten (plötzlich) den Vorgaben der Erwachsenen konform verhalten.

Ruhe & Bewegung – Tempo

Eine Abwechslung von Bewegung und Ruhe, Aktivität und Passivität findet im Zusammenschnitt der Sequenzen statt. Nach längeren lauten, auch inhaltlich bewegenden Abschnitten, die den:die Zuschauer:in bewusst körperlichem Stress aussetzen (mehr dazu später), folgen beruhigende und entspannende Sequenzen. Die stressigen Sequenzen überwiegen nach meinem Empfinden weit, da auch in den stillen, statisch gefilmten Abschnitten oft inhaltlich aufreibende Informationen zu verarbeiten sind.

Strukturelle & semiotische Elemente des Films

Es gibt im Film unterschiedliche Orte bzw. Elemente, die filmisch auch unterschiedlich umgesetzt und eingesetzt werden. Ich gliedere sie wie folgt:

Das Klassenzimmer

Die Therapie, u.a.

  • Ess-Zimmer („Ess-Training“)
  • Schlaf-Zimmer („Schlaf-Training“)
  • „Mäuseburg“ („Trennungstraining“)
  • Außenaufnahmen („Bewegungstraining“[3]Den Begriff „Bewegungstraining“ habe ich an dieser Stelle formuliert und nutze ihn im Folgenden. Dei genaue Bezeichnung dieser Therapie-Einheit ist mir nicht bekannt. Bei den anderen drei … Continue reading)

1:1 Gespräche (mit Eltern/Kindern)

  • Beratungsgespräche mit Herrn Langer
  • Anamnese-Gespräche mit Dr. Lion
  • Untersuchung mit Dr. Lion
  • Abschlussbesprechungen und Kontrolltermine

Teambesprechungen (ohne Anwesenheit der Eltern)

  • am langen Tisch
  • Schwesternzimmer

Slo-Mos[4]Slow Motion (Zeitlupen-Aufnahmen) , Zwischenschnitte & Still Shots

Die einzelnen Settings/Elemente transportieren unterschiedliche Informations-Ebenen, die für die Darstellung der einzelnen Fallbeispiele relevant sind, aber auch für die Vermittlung einer bestimmten Haltung, die dahinter steht.

Das Klassenzimmer

Informationsebene: Die das System stützende Theorie wird erläutert.

Titel

Elternschule heißt der Titel des Films, und das „Klassenzimmer“, in dem Herr Langer mit Hilfe einer Tafel (und einigen Lehrvideos) den an langen Tischen sitzenden Eltern seine Theorie hinter dem Verhalten des Kindes beibringt, ist das zentrale bzw. die Storyline umspannende Element des Films. Mit mathematischer Rationalität erklärt er, wie Kinder ticken, und rechtfertigt damit die Anwendung seiner Methodik.

Die:der Zuschauer:in sitzt meist imaginiert mit am langen Tisch, also in der Position der real anwesenden Eltern, die oft gar nicht eingeblendet zu sehen sind. Die Kamera verfolgt Langer hauptsächlich in nahen und großen Einstellungen – je wichtiger das, was er zu sagen hat, desto näher.

Lehrvideos

Die Lehrvideos aus den 90er Jahren mit Retro-Charme werden den Eltern innerhalb des Unterrichts über ein Fernsehgerät vorgeführt. Sie zeigen Belege für die theoretischen Grundannahmen und Erfolgsnachweise der praktischen Methodik. Die Darstellung eines erbrechenden Kleinkinds im CloseUp zeigt emotionale Wirkung bei Eltern und Publikum.

Tafel

Die Tafel, das Black Board, auf das Langer mit weißer Kreide Graphen und Stichworte zeichnet, ist das zentrale und wiederkehrende Element des Unterrichts, des gesamten Films.

Die Schaubilder, die „mathematischen Formeln“, die theoretischen Erklärungen wirken wissenschaftlich. Die graphische Darstellung untermauert die Seriosität, die Logik und Nachvollziehbarkeit. Es wirkt alles einfach und lösungsorientiert. Aus Chaos wird (die herbeigesehnte) Ordnung. So simpel, dass alle Eltern verstehen, worum es geht. So simpel, dass der Erfolg greifbar wird.

Die Zeichnungen werden aktiv, also während des Zeichnens, dargestellt. In Close Ups verfolgen wir ihre Entstehung mit, nehmen sie in vielen Details wahr. Eine abschließende Übersicht, in der die gesamte Tafel gezeigt wird, vermittelt den komplexen Zusammenhang der einzelnen Bestandteile.

Frontalunterricht

Auf der Tonebene hören wir meist den O-Ton (Originalton) Langers, also seine Monologe bzw. Vorträge. Selten gibt es eine Zwischenfrage aus der Elternschaft.

Die Instruktionen durch eine der Mitarbeiterinnen zu Anfang erfolgen ebenso im „Frontalunterricht“. Eltern mit Kindern und Babys auf Arm und Schoß folgen den Ausführungen. 

Lehrfilm?

Es ist nicht verwunderlich, dass der Film als „Ratgeber für alle Eltern“ aufgefasst wird, ob man ihn nun so bewirbt[5]„Das Geheimnis guter Erziehung“ (https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/westart/video-filmdoku-elternschule-das-geheimnis-guter-erziehung-100.html); „[…] ein Muss für alle, die sich … Continue reading oder dies dementiert[6]„Der Film ist aber kein „Ratgeberfilm“, sondern zeigt Menschen in einem therapeutischen Verfahren und mögliche Handlungsoptionen.“ (http://www.elternschulefilm.de/faqs/) . Der Film spricht für sich: hier wird (den Eltern und uns, dem Publikum) etwas beigebracht. Es geht um Edukation. Der Ist-Zustand (Chaos) wird dem Soll-Zustand (Ordnung) gegenübergestellt. Das angestrebte Ziel und der Weg dorthin erläutert. Was der Film der:dem Zuschauer:in am Ende mit nach Hause gibt, darauf gehe ich später noch genauer ein.

Die Therapie

Informationsebene: Die konkreten Maßnahmen gegen das unerwünschte Verhalten der Kinder werden beschrieben und gezeigt.

Während die Kinder mit ihren Betreuungspersonen (Pfleger:innen oder Therapeut:innen) in Behandlungs-Situationen gefilmt werden, hält die Kamera einen angemessenen Abstand zu den Personen. Vom Rand oder einer Ecke des Raumes aus wird das Geschehen in relativ langen, statischen, ungeschnittenen Einstellungen beobachtet und gezeigt. 

Die Lichtverhältnisse und Farben sind „realistisch“ und eher klinisch kühl. Die nüchterne Stilistik erinnert an TV-Reportagen. Hier soll vermutlich der Realitätsaspekt unterstützt werden, also die reine Beobachtung. Ich würde es als „gnadenlose Wahrheit“ umschreiben, die erzählt werden will.

Viele der Sequenzen sind für das Publikum eher belastend, weil leidende/kämpfende Kinder schonungslos gezeigt werden, das Schreien und Weinen auf Tonebene während langen Sequenzen hinterlegt ist, und „unschöne“, „unangenehme“ Behandlungsmaßnahmen an Kindern durchgeführt werden. Immer so, dass gerade nicht zu sehen ist (durch Bildgestaltung oder Schnitt), wie invasiv die Handlung für das Kind, zumindest körperlich, tatsächlich gewesen ist. Die Ansätze dessen werden deutlich. Einer Ahnung (für tiefgreifendere Eingriffe) wird Raum geschaffen.

Im Ess-Zimmer befindet sich die Kamera entweder mit im Raum, teilweise wird das Bild der Überwachungskamera, die in diesem Raum installiert ist, abgefilmt oder die Kamera befindet sich im verdunkelten Nebenraum, in dem man durch ein Fenster in das beleuchtete Ess-Zimmer blicken kann. Im Raum hat man als Zuschauer:in das Gefühl, mit etwas Abstand direkt das Geschehen zu beobachten. Das Fenster zum Nebenraum schafft weitere Distanz. Es ist eine Wand zwischen mir und dem Geschehen, das beleuchtete Fenster ist wie ein Rahmen, es zeigt mir ein (Ab-)Bild. Den Ton hört man durch an den Personen befestigte Mikrophone jedoch weiterhin deutlich. Die Überwachungskamera hat etwas Technisiertes, Standardisiertes, auch etwas Voyeuristisches. Wir als Publikum werden Mit-Beobachtende, Mit-Wissende, Mit-Überwachende.

Auch in den Sequenzen, die im Schlaf-Zimmer stattfinden, wird die Überwachungskamera als Stilmittel eingesetzt. Zusätzlich wird hier noch der Nachtsicht-Modus eingeführt. Inhaltlich suggeriert dies zusätzliche Sicherheit, denn die Kinder stehen unter ständiger Beobachtung. Sie impliziert aber auch mangelnde Privatsphäre, Überwachung. Grün leuchtende Vierecke, welche jede Bewegung des Kindes verfolgen, kommunizieren gewisse technische Standards. Die lichtreflektierenden Augen der Kinder in der Dunkelheit werden weniger als „Grusel“-Element genutzt, wie es im offiziellen Trailer zu befürchten war, aber zeigen deutlich, welches Kind nicht schläft bzw. schlafen will. Es erinnert an ertappte nachtaktive Tiere. Oder an militärische Einsatzgebiete.

Die Außenaufnahmen finden an „freundlichen“, also sonnigen, kälteren Tagen statt. Es scheint Herbst oder später Winter zu sein. Hier wird oft der Raum genutzt, um das Geschehen auch in (Halb-)Totalen darzustellen. Diese geben einen Überblick, beziehen das Umfeld mit ein, lassen die handelnden Personen klein und als Teil ihrer Umgebung wirken. Die Sequenzen beschreiben den Weg um den See, der mit mehr oder weniger großem Widerstand von den einzelnen Patienten (oder Gruppen) beschritten wird.

Die Geräusche bei den Außenaufnahmen sind natürlich gehalten, auf z. B. Vogelgezwitscher und die Geräusche von Schritten auf dem Kiesweg sowie die Gespräche der Protagonisten reduziert.

1:1 Gespräche

Informationsebene: Stand der Dinge, Befindlichkeit der Eltern, aktuelle Probleme, Einschätzung und Ratschläge durch die Fachpersonen.

Die Gesprächssituation zwischen Herrn Langer bzw. Dr. Lion und den Eltern, die einander gegenüber sitzen, mit oder ohne trennenden Schreibtisch, werden in Halbnahen beobachtend erzählt. Es gibt Zwischenschnitte mit Close Ups auf situative Details. Teilweise, besonders bei Anamnesen und Nachgesprächen, sind die Kinder beim Gespräch anwesend. Es wird mit den Eltern gesprochen, aber über die Kinder („Verhaltenskontrolle“).

Die körperlichen Untersuchungen der Kinder im Behandlungszimmer werden mit Handkamera zwischen mehreren Untersuchenden hindurch gefilmt, da die Kinder sich in der Regel stark wehren und bewegen. Zwischenschnitte auf die mit etwas Abstand stehenden Eltern, die mit besorgtem Gesichtsausdruck die Behandlung verfolgen, werden genutzt.

Schwerpunkt liegt hier auf Beobachtung, nicht unbedingt auf ästhetischem Anspruch.

Teambesprechungen

Informationsebene: Hintergrund zu den Eltern und deren Verhalten, ebenso der Kinder, Stand der Dinge, detaillierter Stand der Therapie, Erfolge und Rückschritte, persönliche oder fachliche Sicht auf die Eltern oder die Kinder.

Weitere beobachtende Einstellungen zeigen Gespräche, bei denen ausschließlich Personal anwesend ist. Zum einen in der großen Runde während bestimmter Besprechungszeiten an mehreren langen Tischen, entweder in der Übersicht (Halbtotale) oder als Nahaufnahme einzelner Sprecher. Zum anderen finden Gespräche zwischen einzelnen Pflegepersonen in bestimmten Situationen statt: auf Station oder im Schwesternzimmer zum Beispiel. Hier wird sowohl über die Kinder als auch über die Eltern gesprochen, oft wertend.

Meist erzählt eine Person, manchmal übernimmt eine andere Person und ergänzt ihren Part. Das Team bestätigt und bekräftigt meist in stummen oder verbalen Gesten das Gesagte. Konträre Meinungen gibt es nicht bzw. werden nicht dargestellt.

Slo-Mos, Momente, Zwischenschnitte & Still Shots

Informationsebene: Auf emotionaler Ebene werden Bilder kreiert, welche die gesprochene, meist rationale, Information illustrieren, ergänzen und ihr damit eine interpretative Erweiterung verschaffen. Sie werden meist als Übergangseinstellungen zwischen Themenabschnitten verwendet (verbindendes bzw. trennendes Element).

Besonders in der Einleitung wird intensiv mit Einstellungen gearbeitet, die Kinder zum Teil ruhig, teils weinend oder schreiend oder auch stumm/leer blickend, also in meist fragilen Momenten, sich in Zeitlupe (Slow Motion) bewegend zeigen. Diese Darstellungstechnik bindet kurze Momente in eine wahrnehmbare Zeit. Das Publikum nimmt viele Details wahr, die ihm in Echtzeit entgehen würden. Slow Motions dramatisieren das Gezeigte und wirken „lähmend“ auf den:die Zuschauer:in. Im konkreten Anwendungsfall der weinenden Kinder ein im Kontext formal passendes und wertendes Statement. Die Verzerrung des Kindchenschemas wirkt stark als Kontrast. Die verzerrten niedlichen Kindergesichter in dieser ungewohnten Weise dargestellt, wirken teils befremdlich, teils Mitleid erregend, gar monströs auf den:die Betrachter:in. Diese Bilder sind mit einem hohen ästhetischen Anspruch aufgenommen: Close Ups von Gesichtern, geringe Tiefenschärfe, wärmere Farben, weiche Konturen. Auf Tonebene kommen sphärische Klänge, wie mit metallenen Perkussionsinstrumenten erzeugt, eventuell auch verlangsamt abgespielt, hinzu. Diese Sequenzen transportieren kontrastierend Ruhe, Stille und Sanftheit in der Ästhetik, aber Schmerz, Kampf und Lautheit im Inhalt.

Weitere Slow Motions zeigen lachende, glückliche, rennende, spielende Kinder als Übergangselement. Ähnlicher Impact, andere kontextbezogene Aussage. Diese Einstellungen erinnern an das klischeehafte und oft verwendete sowie persiflierte Motiv der beiden in Zeitlupe aufeinander zulaufenden Liebenden auf der Sommerwiese, die sich nach räumlicher und zeitlicher Trennung wieder in die Arme schließen. Nicht nur, aber unter anderem aus diesem Grund möchte ich diese Einstellungen bereits an dieser Stelle als „kitschig“ werten. Auch hier ist die sphärische Musik unterlegt.

Close Ups von in der Klinik gefundenen Gegenständen werden als statische Einstellungen zwischengeschnitten (ich nenne sie hier Still Shots, auch wenn es sich nicht um Standbilder handelt, sondern um „gefilmte Stilleben“ – feste Einstellungen ohne Handlung), um als Symbole bestimmte Aussagen oder Werte zu betonen, ein humoristisches Element einzubringen oder eine Stimmung zu transportieren. Beispiele sind zur Situation passende kecke Sprüche auf einer Tasse oder einem Wandbild, eine Danksagungskarte, Zeitungsartikel, Schilder an Türen, ein abgedecktes Klinik-Bett mit im Luftzug wehender Folie auf dem Gang, der noch fast gefüllte Teller oder ein senkrecht von oben (Vogelperspektive) gefilmtes Heckenlabyrinth am Ende.

Ähnlich wie Still Shots werden teilweise Momentaufnahmen eingesetzt, in denen weder gesprochen noch zum Teil wirklich agiert wird. Personen sitzen in bestimmten Konstellationen beieinander und tun etwas (lesen, essen, schweigen, schauen …). O-Ton ohne weitere Tonebene. Ich empfinde diese Einstellungen als Mischform zwischen Still und Beobachtung des Geschehens. Teils werden Details dieser Momentaufnahme eingeblendet (z.B. ein Mädchen knibbelt an den Haarspitzen). Sie dienen hauptsächlich der Übermittlung einer Stimmung. Sie ergänzen die Geschichte nicht direkt im Verlauf, sondern auf emotionaler Ebene. Markant ist die Szene, in der ein Junge Grimassen schneidet und schließlich den Mittelfinger in die Kamera hält. Inhaltlich gehe ich später darauf ein, formal sind Szenen wie diese plakativ, bewusst provozierend und wertend.

Blick in die Kamera

Die Kinder sind die einzigen Personen, die direkt in die Kamera schauen (sie können sie noch nicht bewusst ignorieren) und sie somit für das Publikum „sichtbar“ machen. Sie nehmen quasi direkten Kontakt mit dem Publikum auf. Das wirkt manchmal überraschend, offensiv oder komisch (Mädchen X schaut uns durch die Fensterscheibe an, Kind zeigt Mittelfinger, peinlich berührtes Kind in der Stille-Übung), oft tragisch und berührend (Felix mit der Sonde, verzweifelt weinende Kinder). Relativiert werden die tragischen Szenen wiederum durch die rational erklärende Ton-Ebene. Sie sind auch die einzigen, bei denen die Kamera in dieser Direktheit „draufgehalten“ wird. Zwar sehen wir auch weinende Eltern, doch diese Darstellung wirkt einvernehmlich. Während sich Eltern wohl durch direkten Blick in die Kamera absichern konnten, dass die Aufnahmen nicht verwendet wurden, war den Kindern dies nicht möglich.

Einmal erhascht man einen kurzen (genervten) Seit-Blick von Lucys Mutter (Szene beim Essen). Danach taucht Lucy nicht mehr in der Erzählung auf.

Musik & Ton

Beides wird – passend zur Bildsprache – reduziert und bewusst eingesetzt.

Musik

Die sphärische Musik, die auf metallenen Perkussionsklängen sowie Gitarre und weiteren Klangelementen basiert, wird punktuell eingesetzt, um auf die metaphorische Ebene zu wechseln, wenn es um Illustration des Gesprochenen geht oder der vorangegangene, teils sehr belastende, O-Ton ausgestreichelt werden soll. Der Charakter dieser Musik baut sich von düster/mystisch (sphärisch) bis zu heller, verspielter Tendenz auf (gezupfte Gitarre, Akkordeon, Blockflöten-ähnliche Töne, kinderlied-artige Melodie), teils in erschreckendem Kontrast zum Gezeigten (z.B. während ein sich wehrender Junge um den See geführt wird). Die Ambivalenz innerhalb des musikalischen Charakters spiegelt die Ambivalenz der leidenden und kämpfenden Kinder (kindlich „nicht adäquates“ Verhalten).

Während der Sequenz über das Schlafen, in der die Kinder (beginnend mit Mohammed) zu Bett gebracht werden, wird ein türkisches Wiegenlied als ausschließliche Tonebene benutzt. Visuell wird unterdessen mit Überwachungskameras, die schließlich in den Nachtsichtmodus umschalten, gearbeitet. Die Sequenz endet mit der Textzeile „Psst, psst, psst, psst“, während die Nachtsicht-Kamera beginnt zu rauschen und schließlich in einem komplett verrauschten Standbild endet. Ein stilistischer Handgriff, der Poesie wegen.

Monologe

Herrn Langers Monologe werden als rhetorisch aufbereitete und ausschmückende theoretische Informationsvermittlung genutzt. Direkte Kommentare aus dem Off sind zwar nicht vorhanden, Herrn Langers Vorträge übernehmen diese Funktion in gewisser Weise jedoch über den gesamten Film hinweg.

O-Ton

Der Ton aus den beobachtenden Szenen ist deutlich. Durch die am Körper der Protagonisten angebrachten Mikrophone werden auch Details mit aufgenommen, wie z.B. Würgegeräusche des gefütterten Kindes oder geflüsterte Worte. Auf weitere tonale Untermalung wird in diesen Szenen verzichtet.

Atmo

Die Außenaufnahmen leben ausschließlich von den natürlichen atmosphärischen Umgebungsgeräuschen (Naturgeräusche). Eine Konzentration auf die Dialoge ist so gut möglich und es wirkt zusätzlich authentisch.

In den Klinikräumen macht die Atmo oft aufmerksam auf den geschäftigen Betrieb. Wenn das Bild auf bestimmte Protagonisten oder Details fokussiert ist, werden Informationen über das Geschehen außerhalb des Bildes über den Atmosphären-Ton transportiert.

„Was für ein Geschrei!“

Schreien, Weinen, Jammern, Flehen (der Kinder) … sind (instinktiv bedingt) sehr intensive Geräusche, die den:die Zuschauer:in direkt ins Mark treffen. Sie werden als O-Töne zur Stresserhöhung bewusst eingesetzt. Die Dauer dieser Einstellungen ist tendenziell lang gehalten, wenn inhaltlich über dieses Phänomen berichtet wird oder es für das Verständnis bestimmter Lösungsansätze/Methoden sinnvoll ist. Sehr viele Szenen von Beginn bis zum Ende beinhalten das Schreien und Kreischen der Kinder. Wenn nicht als Hauptfokus, dann zumindest am Rande, als Hintergrundgeräusch, im gleichen Raum oder aus Nebenräumen.

Formaler Gesamteindruck

Der Film erzählt in klaren Linien, schnörkelfrei, aber detailliert, aufgeräumt. Allerdings erschwert das gestückelte Erzählen die Nachvollziehbarkeit der einzelnen Fallbeispiele (Familien). Besonders zu Anfang ist es teilweise herausfordernd, sich aus den fragmentarischen Elementen die Gesamtaussage über zeitliche und kausale Zusammenhänge zu erschließen. 

Der Film äußert sich deutlich, teilweise provokativ und plakativ, in aller ihm generell innewohnenden Ruhe und Zurückhaltung. Chaos wird strategisch eingesetzt, um Ordnung zu kommunizieren. Das Aufspüren und Einsetzen bestimmter Details ist deutlicher Bestandteil des Films. Es entsteht ein in sich „runder“ Gesamteindruck. Formal und inhaltlich passt innerhalb seines Systems alles schlüssig zueinander, die Teile greifen strategisch ineinander. Handwerklich ist der Film sauber gefilmt und erzählt. Längen werden nach meinem Empfinden teils bewusst eingesetzt, insgesamt aber vielleicht ein wenig überstrapaziert. 120 Minuten sind notwendigerweise gefüllt mit allen Erzählsträngen, die teils vollständig und stellenweise detailliert ausgeführt werden. Auf formaler und struktureller Ebene ein guter, sauberer Film mit gewissem ästhetischem und narrativem Anspruch. Etwas kitschig vielleicht, stellenweise. Auch die punktuell eingesetzten Symbolbilder und bildlichen Kommentare empfinde ich als zu plakativ und plump. Als bahnbrechend oder außergewöhnlich würde ich die formale Umsetzung nicht einordnen. 

Die Handlung bzw. Erzählung als solche ist nachvollziehbar. Die Wiederholung bestimmter Prinzipien anhand unterschiedlicher Fallbeispiele steigert zum einen die intendierte Glaubwürdigkeit, zum anderen hilft sie den Zuschauer:innen, das Gesehene bzw. Gehörte zu verinnerlichen. Ein stimmig und professionell wirkendes System wird glaubhaft dargelegt, der:die Zuschauer:in fühlt sich auf informativer wie emotionaler Ebene angesprochen. Der große und die mehreren kleinen Spannungsbögen nehmen sie:ihn bzw. ihre:seine Aufmerksamkeit mit. Es gibt intentional emotional tiefgehende bis belastende Passagen sowie zur Erheiterung ausgelegte Momente. Das Thema ist so aufbereitet, dass ein breites Publikum sich angesprochen fühlen kann. Über die in vielen Passagen eingesetzte „TV-Optik“ lässt sich diskutieren, erfüllt aber ihren Zweck. Für Festival und Kino ein insgesamt passendes Format.

Um es mit Herrn Langers Worten zu sagen: „Kann man machen.“

References

References
1 https://www.filmjournalisten.de/2018/10/11/elternschule/?fbclid=IwAR12dlinfmQ1ROrJ5VEELAevCo8durrRjEWG0FtnZOMeVEkXNqvaV6GAGMM
2 https://villa-kalimba.de/2018/10/20/dokumentarfilm-ethik/
3 Den Begriff „Bewegungstraining“ habe ich an dieser Stelle formuliert und nutze ihn im Folgenden. Dei genaue Bezeichnung dieser Therapie-Einheit ist mir nicht bekannt. Bei den anderen drei Trainings handelt es sich um offizielle Bezeichnungen.
4 Slow Motion (Zeitlupen-Aufnahmen)
5 „Das Geheimnis guter Erziehung“ (https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/westart/video-filmdoku-elternschule-das-geheimnis-guter-erziehung-100.html); „[…] ein Muss für alle, die sich fragen, was gute Erziehung ausmacht.“ (https://www.dokfest-muenchen.de/films/view/13240)
6 „Der Film ist aber kein „Ratgeberfilm“, sondern zeigt Menschen in einem therapeutischen Verfahren und mögliche Handlungsoptionen.“ (http://www.elternschulefilm.de/faqs/)

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