Humor in Kindermedien
Das Kind lacht sich kringelig, und du stehst mit riesigem Fragezeichen und höflicher Imitation eines Lächelns daneben. Pupswitze und Slapstick-Schadenfreude stehen hoch im Kurs. Was soll aus diesem Kind nur werden?
„Der Humor ist der Regenschirm der Weisen.“
Erich Kästner
Du hingegen fragst dich, wann endlich das Alter gekommen ist, in dem dein Kind auch die subtileren Wortwitze und Anspielungen versteht, bei denen dir das Herz aufgeht.
Kinder lernen Humor, wie sie alle anderen sozialen Interaktionen erlernen: Hauptsächlich durch Imitation. Sie beginnen mit dem, das sie verstehen. Sie probieren aus, schauen nach den Reaktionen ihrer Bezugspersonen. Wann lacht wer? Das Warum kommt später, aber es kommt.
Humor ändert sich auch sehr schnell, je nach Alter der Kinder. So ist es beispielsweise schwierig, im Kinderfilm ein breites Publikum humoristisch anzusprechen.
How to be funny and relevant
„Humor ist bestimmt nicht der sicherste Weg, den man beschreiten kann. Aber er ist ein sehr wirksames Mittel im Alltag. Es geht dabei sicherlich um mehr als Unterhaltung. Denn Unterhaltung spielt erst seit einer recht kurzen Zeitspanne in der Geschichte des Menschen eine größere Rolle. Davor hatten die Menschen gar keine Zeit für Entertainment. Die ursprüngliche Funktion von Humor, die schon für die Höhlenmenschen bedeutend war, ist eine andere: mit unserer unberechenbaren Umwelt zurechtzukommen. Humor und Lachen ist der Sieg über Angst und Unsicherheit. Das ist die eigentliche Funktion von Humor.“
Bob Mankoff, Chefcartoonist des Magazins The New Yorker, im Interview mit der Wirtschaftswoche, 20. April 2014
Vor zwei Wochen habe ich im Rahmen der Akademie für Kindermedien die Veranstaltung How to be funny and relevant – Humor in Children’s Film an der Filmuniversität Babelsberg besucht. Die Vortragsreihe mit anschließender Paneldiskussion, ermöglicht durch den Förderverein Deutscher Kinderfilm, die Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf und XFilme Creative Pool, beleuchtete das Thema aus einigen interessant unterschiedlichen Blickwinkeln.
Vortragende waren Dr. André F. Nebe (Regisseur, Autor, Forscher), Pauline Kortmann (Animatorin, Regisseurin, Fotografin) sowie Frederik Hansen (Chief Executive Monkey bei der dänischen Produktionsfirma OK Monkey).
Der Analytische
Hey, hey, Wickie!
„Ein erfolgreicher Kinderfilm sollte spannend und lustig sein“
Dr. André F. Nebe
Dr. André F. Nebe hat sich die unglaubliche Mühe gemacht, einige deutsche Kinderfilmproduktionen minutiös nach humoristischen Momenten zu durchforsten und diese nach Art des Humors zu sortieren und gegeneinander zu vergleichen.
Warum? Weil Kinder wohl das Verlangen nach sowohl spannenden als auch lustigen Filmen haben. Humor als Transportstoff für die ernsteren Themen, sozusagen. Im Idealfall, sage ich.
Meine persönlich Anmerkung dazu wäre: Kinder wollen unterhalten werden, sie wollen Emotionen spüren und sind auch für schwerere Themen empfänglich, aber die Vermittlung über den Humor ist meist eine gute Idee.
Dr. Nebes tabellengrafische Gegenüberstellung dreier Filme zeigt deutliche Unterschiede. Während der gezeigte Ausschnitt aus Paulas Geheimnis nur partiell eher subtilen erwachsenentauglichen Humor (wenn überhaupt) einstreut, wartet die Spielfilmproduktion von Hexe Lilli schon mit statistisch mehr und mehrschichtigerem Humor auf. Die Michael „Bully“ Herbig Realverfilmung von Wickie und die Starken Männer stellt jedoch die anderen beiden mit einem durchgehenden (!) Feuerwerk an unterschiedlichst gearteten Gags in den Schatten. Es wundert mich wenig, dass Bully Herbig weiß, wie man ein breites Publikum unterhält.
Timing ist alles
Über die Tiefgründigkeit des Humors müssen wir denke ich an dieser Stelle nicht weiter reden. Ich persönlich fand die Ausschnitte der ersten beiden Beispiele tatsächlich erschreckend unlustig. Unterschiedlich, ja, aber für mich als erwachsene Person zumindest aus diesen kurzen Ausschnitten heraus entweder nicht erkennbar (Paulas Geheimnis) oder aber fast schon unerträglich klamaukig (Hexe Lilli). Und bei Wickie habe ich wirklich gelacht. Und noch ein paar Minuten nachwirkend innerlich gekichert. Es war eine sehr plump-humorige Szene, aber perfekt komponiert. Timing und Überraschungsmomente sind für mich entscheidende Stichworte.
Humor kostet
Und damit kommen wir zu der Erklärung, warum höhere Produktionsbudgets ggf. auch lustigere Filme hervorbringen: Humor ist nicht leicht zu kreieren. Das braucht neben Talent auch Zeit, um das perfekte Timing zu treffen, die perfekten Worte zu finden, eine Vielschichtigkeit zu kreieren. Humor ist Kunst und Handwerk.
Hypotaktische Humorstruktur
Dr. Nebe hält Wickie für den bislang ungeschlagen lustigsten Film für Kinder. Visuelle Witze hätten für das Zielpublikum einen höheren Stellenwert als lustige Dialoge. Wickie schafft einen lückenlosen vielschichtigen Multi-Level-Humor über den initialen Gag (parataktischer Humor) in Verbindung mit einer überraschenden Wendung.
Mehr darüber in Dr. Nebes Buch Humor und erfolgreiche Kinderfilme. [unbezahlte Werbung]
Die Empathische
Froschwetter
Pauline Kortmann hat den wirklich süßen und empfehlenswerten Animationsfilm Froschwetter zum Thema Klimawandel kreiert.
Sie hat Kinder zum Thema interviewt und dazu die Illustrationen gezeichnet und animiert, mit einem Wetterfrosch als Protagonist.
Kompetente Kinder
Einige Erkenntnisse zu ihrer Arbeit mit den Kindern teilt sie mit uns:
- die Haltung der Kinder (in ihrem Fall die Bereitschaft zur Zusammenarbeit) ändert sich drastisch mit jeder neuen Altersstufe
- Kinder sind sehr politisch, wenn sie sich für das Thema interessieren
- Kinder sind sehr empathisch und begegnen Tierfiguren auf vermenschlichte Art und Weise
- Natur ist sehr wichtig für sie
- Kinder haben eine seltsamen Sinn für Humor (Pupswitze und Slapstick – ich erwähnte es bereits)
Aus dem umfangreichen gesammelten Material hat Pauline klug und loyal sowohl lustige als auch sympathische Aussagen zusammengestellt, die dem Gesamtwerk und der wertschätzenden Rezeption sehr zuträglich sind.
Von Kindern für Kinder?
Was mich etwas gewundert, aber sehr gefreut hat: Ich denke, dass Kinder die Aussagen ihrer eigenen Peer-Group tendenziell anders wahrnehmen als Erwachsene, die bereits mehr Wissen über das Thema haben und den Witz in der sympathisch kindlichen Logik aus Erwachsenensicht sehen. Dennoch finden auch Kinder diese Kombination lustig und nehmen den Film, u.a. im Rahmen von Festivals, begeistert wahr.
Der Provokative
„Kids are id***s“
Mit erschreckend offen provokantem ableistischem Adultismus startet Frederik Hansen, Chief Executive Monkey bei der dänischen Produktionsfirma OK Monkey, seinen Vortrag.
Bevor du den „Schließen“-Button drückst: Am Ende empfand ich Frederik als ausdrücklichst loyal und super wertschätzend Kindern und Eltern gegenüber.
Der Titel des Vortrags bezieht sich darauf, dass Kinder Humor wie vieles andere erst erlernen.
Und das ist jetzt lustig, weil …?
Sie lachen zum Beispiel, wenn sie sich sicher fühlen, also wenn sie dem offensichtlich „falschen“ Verhalten der lustigen Person mindestens einen Schritt voraus sind und damit das „Falsche“ an der Situation erkennen. Kinder WOLLEN alles richtig machen (allen Unkenrufen zum Trotz). Sie selbst befinden sich im Prozess des Erlernens von sozialen Fertigkeiten.
Sie lachen ebenfalls, wenn eine Übertreibung stattfindet, die es für sie einfach macht, die Intention des Humors zu erkennen. Menschliche Schwächen und Eigenheiten spielen bei der Wiedererkennung eine Rolle.
Zielgruppenorientierter Humor
Als ich einen unserer Mentoren – zugegeben etwas provokativ – fragte, weshalb Filme, die offensichtlich nicht besonders lustig sind, obwohl sie es sein wollen, es ins Kino schaffen, wies er mich darauf hin, dass ich ja nicht die Zielgruppe sei. Als Autorin soll ich also zielgruppenspezifische Witze machen, die ich selbst nicht lustig finde? In mir sträubte sich alles.
Kindgerecht, natürlich. Aber so gar nicht erwachsenengerecht?
„I want to be challenged“
Frederik fand dann passende Worte für eine mehr als zufrieden stellende Antwort: Wir wollen herausgefordert werden, das gilt sowohl für uns als Erwachsene als auch für Kinder. Für Menschen eben, denn wir sollten aufhören, Kinder als Kinder pauschal zu benennen, sie sind Individuen. Sie sind junge Leute mit ganz eigenen Empfindungen und Wahrnehmungen. Erfrischend, dies auch außerhalb „unserer“ Filterblase einmal ausgesprochen zu hören.
„Es gibt keinen stärkeren Moment
Frederik Hansen
als wenn ein Kind und seine Eltern zusammen lachen.“
Selbst wenn wir unterschiedliche Dinge lustig finden, über verschiedene Dinge lachen: Gemeinsam zu lachen ist ein massiv verbindendes Element. Wie schön ist es, wenn die Eltern mit ins Boot geholt werden. Im Prozess des Begleitens hilft es uns Eltern so sehr, wenn wir uns ebenfalls unterhalten fühlen, ernst genommen und ganz freiwillig den Witz und Humor und alles, was sonst zu einer guten Produktion gehört, genießen können.
Nochmal!
Das Erlernen von Humor bringt es schließlich mit sich, dass unsere Kinder ein und dieselbe Folge, ein und denselben Film, wieder und wieder und wieder schauen. Dabei müssen sie nicht von Anfang an alles gleich verstehen. Die Wiederholung ist für diesen Prozess ein entscheidendes Element. Und wie ermüdend, wenn wir schon von Beginn an als Begleitpersonen zu Tode gelangweilt sind.
Lat’s talk about it
Kinder sehen, wie wir lachen, auch wenn sie noch nicht verstehen, warum. Das bringt uns in eine Diskussion darüber, was wir lustig finden, was uns zum Lachen bringt. Und wir Erwachsene können dabei von unseren Kindern noch eine Menge lernen, wenn wir ihnen zuhören und miteinander sprechen.
Inklusiver Humor
Und last but not least das in meinen Augen Allerwichtigste, wenn es um Humor in Kindermedien geht: Wir sollten niemals ÜBER Kinder lachen, sondern MIT ihnen. Das ist oft ein schmaler Grat, den nicht alle Medienmacher:innen in der Lage sind, auf der richtigen Seite zu beschreiten. Und auch dem Publikum ist nicht immer klar, worüber es da gerade lacht. #nonmention
Zum Weiterdenken
Eine wertvolle Stimme aus dem Publikum
Selbstverständlich sollten wir die tiefgründigen und leiseren Filme und Geschichten nicht vergessen. Sie bleiben oft länger und intensiver im Gedächtnis, bewirken Reflexion der Thematik und beschäftigen unsere Kinder ggf. wesentlich intensiver als die rein lustigen und unterhaltsamen Produktionen.
Dysfunktionaler vs. Werte-konformer Humor
Und ganz genau und feinsinnig betrachtet, handelt es sich bei vielen Witzen und humorvollen Elementen um äußerst dysfunktionalen Humor. Was ist erlaubt? Was ist gesund? Wie schaffen wir es, unsere Werte in Einklang mit funktionierendem Humor zu bringen? Wie verhindern wir es, dass Kinder die Vorlage des dysfunktionalen Humors als Lerngrundlage nehmen? Was wollen wir unseren Kindern mitgeben?
Meine spontane und kurze Antwort darauf wäre: Genau hinschauen, reflektieren, kommunizieren. Ohne Wertung ins Gespräch gehen. Warum finden wir dies oder das lustig? Warum mag ich diese Art des Humors nicht? Was findest du daran witzig? Wie fühlt sich Person X wohl, wenn wir darüber lachen?
So können wir als Eltern den verantwortungsvoll begleitenden und reflektierenden Umgang mit Medien, Inhalten und Werten vorleben.
Fazit
Humor ist mächtig, auch im Hinblick auf schwerere Themen. Er bietet Raum für Verbindung – mit Bedacht genutzt –, aber auch Trennung, wenn man nicht achtsam ist.
So spannend es ist, Humor zu messen und daran einen Erfolg zu bestimmen, für mich bleibt Humor letztlich ein Gefühl, das mit künstlerischer und handwerklicher Fertigkeit zu meinen individuellen Vorstellungen und Werten passen sollte.
Mein Kind darf über andere Dinge lachen als ich, ebenso wie jeder Mensch über unterschiedliche Dinge lachen darf. Innerhalb meiner Familie habe ich jedoch die Verantwortung, über Werte und soziale Dynamiken zu diskutieren.
Lasst uns gemeinsam lachen.
Und. Niemals. ÜBER. Kinder.